Rechtsanwalt Thomas Lurz und Dipl. Psych. Ute Felscher-Suhr, Frankfurt am Main

Unter dem Motto „Laut nachgedacht – Lärmwirkungen in der Diskussion“ stand der diesjährige Branchentreff Luftverkehr & Recht mit hochkarätiger Beteiligung. Rund 70 Juristen und Fachleute trafen sich am 8. Dezember 2015 am Frankfurter Flughafen und diskutierten zum Themenschwerpunkt Lärmwirkungsforschung und ihre Bedeutung für die Verwaltungspraxis und Gesetzgebung. Hierbei standen die jüngst veröffentlichten Ergebnisse der NORAH-Studie im Mittelpunkt.

Vorträge von Penzel und Gronefeld

Herr Rechtsanwalt Thomas Lurz (Fraport) begrüßte zunächst die zahlreichen Gäste und ging in seiner Ansprache kurz auf die aktuelle Lärmwirkungsstudie NORAH („Noise-Related Annoyance, Cognition and Health“) ein. Die Studie hat sich mit den Auswirkungen des Verkehrslärms auf die Gesundheit und Lebensqualität der betroffenen Wohnbevölkerung befasst. Lurz betonte, dass die Ergebnisse nicht geeignet seien, politische und verwaltungsrechtliche Schnellschüsse herauszufordern. Vielmehr habe sich in einer Gesamtschau der gesundheitlichen Risiken durch Fluglärm gezeigt, dass diese geringer seien als bisher angenommen. Andererseits zeige die Studie auf, dass das subjektive Belästigungsempfinden zugenommen habe, obwohl die Anzahl der von Fluglärm objektiv hoch belasteten Anwohner zurückgegangen sei. Es wird nun Aufgabe der Forschung sein, Klärungsansätze für dieses Spannungsverhältnis zu finden.

Den Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Aktuelles zur Lärmwirkungsforschung unter Berücksichtigung der Ergebnisse der NORAH-Studie“ hielt Herr Prof. Dr. Thomas Penzel, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité, Universitätsmedizin Berlin. An den Beginn seines anschaulichen und spannenden Vortrags stellte Penzel das Fluglärmschutzgesetz mit seinen Lärmwerten und vorwegnehmend das Fazit, dass das Fluglärmschutzgesetz alle empirisch ermittelten Lärmwirkungen ausreichend abdecke. Eine Bestätigung, die nicht zuletzt für die in 2017 anstehende Überprüfung der Lärmwerte eine hohe Bedeutung hat.

Penzel erläuterte kurz die grundsätzlichen Forschungsansätze der verschiedenen Disziplinen (Medizin, Epidemiologie, Psychologie) und die daraus zu gewinnenden Daten. Anschaulich und überaus verständlich stellte er im Anschluss die Kernergebnisse vor, die er nach den Wirkungsfeldern Belästigung, Herz-Kreislauf-System, Schlaf, Stresshormone, Hörschäden, Krebs, psychische Erkrankungen und kognitive Entwicklung ordnete. Zu jedem Wirkfeld suchte er, soweit vorhanden, Beiträge der NORAH-Studie heraus und ordnete sie in die bestehende Befundlage ein. Auf diese Weise erhielt das Auditorium einen sehr guten Überblick, ob und an welchen Stellen durch NORAH neue Erkenntnisse für die Lärmwirkungsforschung gewonnen wurden.

Für die Lärmbelästigung werden seit vielen Jahren Zusammenhänge zwischen Fluglärmexposition und Selbstangaben zum Ausmaß der empfundenen Belästigung in Expositions-Wirkungs-Kurven dargestellt. Der zeitliche Trend gehe dabei in Richtung höherer Belästigung bei gleichen Pegeln, die NORAH-Studie zeige dies deutlich auf und quantifiziere zudem den bedeutenden Einfluss individueller, pegelunabhängiger Faktoren auf das Belästigungsurteil. Für das Herz-Kreislauf-System gelte: Ein Zusammenhang zwischen einer Fluglärmbelastung und erhöhtem Blutdruck – abhängig u. a. von der Höhe und Dauer der Exposition – galt bisher nach internationalen Studien als weitgehend gesichert. Das werde durch die Ergebnisse der NORAH-Studie wieder in Frage gestellt, da sich dort bei hoher messtechnischer Qualität kein Einfluss von Fluglärm auf den Blutdruck zeigte.

Schlaf: Einige primäre Wirkungen von Fluglärm auf die Schlafqualität (Aufwachreaktionen, Zunahme von Bewegungen des Körpers im Schlaf, Länge einzelner Schlafphasen) sowie einige sekundäre Wirkungen (Tagesschläfrigkeit, Beurteilung der Schlafqualität) seien belegt. Das Ausmaß dieser Wirkungen sei meist gering und habe in der NORAH-Studie auch nicht weiter vertieft werden können. Nur für intensive Fluglärmbelastung (militärischer Tiefflug) sei ein deutlicher Zusammenhang mit der Ausschüttung von Stresshormonen nachgewiesen. Hörschäden seien bei den üblicherweise in der Umgebung ziviler Flughäfen auftretenden Maximalpegeln nicht zu erwarten. Es gebe derzeit keine belastbaren Untersuchungen, die einen Einfluss von Fluglärm auf die Krebsentstehung begründete. Die Befundlage zum Zusammenhang zwischen Fluglärm und psychischen Erkrankungen sei insgesamt sehr wenig belastbar. Die NORAH-Studie lege einen Zusammenhang zwischen Verkehrslärm und dem Auftreten von Depressionen nahe. Diese vergleichsweise neu identifizierte Wirkung von Lärm müsse in weiteren Studien genauer betrachtet werden, da insbesondere der Einfluss anderer Faktoren für das Auftreten von Depressionen in NORAH nicht untersucht wurde. Fluglärm könne einen geringen, aber messbaren Einfluss auf die Leselernfähigkeit von Kindern haben. Nach starker Reduktion des Lärms scheine dieser Effekt reversibel zu sein. Die NORAH-Studie zeige für den Einzugsbereich des Frankfurter Flughafens, dass das Leseverständnis von Kindern mit zunehmender Höhe der Belastung mit Fluglärm statistisch signifikant abnimmt. Fluglärmeffekte sind im Vergleich zu anderen Einflüssen wie Deutschkenntnisse der Kinder oder Anzahl der Kinderbücher im Haushalt geringer.

Insbesondere bei allen epidemiologischen Studien ist zu beachten, dass je nach untersuchter Wirkvariable der Beitrag des Fluglärms im Vergleich zum Beitrag anderer Risikofaktoren unterschiedlich ausfalle. Nachgewiesene Auswirkungen des Fluglärms seien ernst zu nehmen. Daher sei es zu begrüßen, dass mit dem aktuellen Fluglärmschutzgesetz ein Regelwerk vorliegt, welches die Lärmschutzbelange der Bevölkerung umfassend und angemessen berücksichtige, und dass alle Beteiligten den Lärmschutz als wichtige Aufgabe ansähen.

Das Thema des zweiten, sehr instruktiven Vortrags lautete „Lärmwirkungsforschung und Konfliktbewältigung in der luftrechtlichen Planfeststellung“(1). Herr Rechtsanwalt Dr. Volker Gronefeld, München, schlug einen Bogen von der Lärmwirkungsforschung zum Recht und ging auf die Bedeutung neuerer Erkenntnisse zu Lärmwirkungen für die luftrechtliche Verwaltungspraxis und Gesetzgebung ein. Mit dem aktuellen Fluglärmschutzgesetz in Verbindung mit § 8 Abs. 1 LuftVG lägen gesetzlich verbindliche Regelungen vor, die die Behörden zu beachten hätten. Hiermit habe der Gesetzgeber einen wichtigen Schritt in Richtung Rechts- und Planungssicherheit vollzogen. Nur, wenn geradezu evident sei, dass ein neuer Grundkonsens in der Lärmwirkungsforschung die gesetzlichen Regelungen zum Schutz der Gesundheit als untragbar erscheinen ließen, wären Behörden und Gesetzgeber gefordert. Dies sei aber gerade nach den Ergebnissen der NORAH-Studie nicht der Fall. Weder könnten mit dieser Studie strengere Lärmwerte noch nachträgliche Schutzauflagen oder Betriebsbeschränkungen (z. B. Lärmobergrenzen) gerechtfertigt werden. Auch die EU-Verordnung Nr. 598/2014 zu lärmbedingten Betriebsbeschränkungen baute hohe Hürden für Kontingentierungen auf. Gronefeld ging zudem auf ein aktuelles Forschungsvorhaben des Umweltbundesamtes zur Evaluation des Fluglärmschutzgesetzes ein: Hier erinnerte er daran, dass § 2 Abs. 3 FluglärmSchG nicht eine Änderung dieses Gesetzes fordere, sondern nur eine Überprüfung der in § 2 Abs. 2 FluglärmSchG genannten Lärmwerte unter Berücksichtigung des Standes der Lärmwirkungsforschung und der Luftfahrttechnik. Zudem habe der Gesetzgeber ein weites Ermessen, bei dem auch andere Faktoren wie öffentliche Mobilitätsinteressen, Investitionssicherheit, Praktikabilitätserwägungen etc. eine wichtige Rolle spielten.

Penzel und Gronefeld sehen die Luftverkehrswirtschaft in der Pflicht, die Sorgen der Anwohner ernst zu nehmen und sich weiterhin gemeinsam mit anderen Akteuren um die Reduzierung von Fluglärm zu bemühen. Hierfür böte die NORAH-Studie wichtige Hinweise – auch und gerade als Grundlage für einen sachlichen Dialog.

Podiumsdiskussion

Herr Schreckenberg erklärte, dass nach NORAH die These, dass Lärm zu Stress, Stress zu erhöhtem Blutdruck und dieser wiederum zu Herz-Kreislauferkrankungen führe, zu einfach sei und offenbar weitere Mechanismen zur Erhöhung von Erkrankungsrisiken führten. Allerdings gelte es nunmehr – mit Blick auf das in der NORAH-Studie festgestellte erhöhte Belästigungsurteil der Betroffenen – der Hypothese nachzugehen, dass die erlebte Belästigung über eine langjährige Expositionsdauer dazu führen könnte, Erkrankungen zu begünstigen. Lärm sei nicht als „Schadstoff“, wohl aber als „Stressor“ zu verstehen, den es mit Interventionsmaßnahmen (wie z. B. Aufklärungsarbeit sowie ehrliche und transparente Darstellung von Lärmminderungsmaßnahmen) zu begegnen gelte.

Auf die Frage von Remmert, ob nach NORAH gesetzgeberisches Handeln geboten sei, beispielsweise indem das Fluglärmschutzgesetz geändert werden müsse, antwortete Hien mit „eindeutig nein“. Das Feld der Lärmwirkung sei eine schwierige Materie, deshalb sei es für Richter und für die Rechtssicherheit von großem Vorteil, dass das Fluglärmschutzgesetz klare Vorgaben liefere. NORAH bestätige diese klaren Vorgaben, jedenfalls könne aus dieser Studie keine Verfassungswidrigkeit des Fluglärmschutzgesetzes hergeleitet werden. Es sei zudem zu berücksichtigen, dass lärmmedizinische Sachverständigengutachten keine exakten naturwissenschaftlichen Fakten lieferten und nur ein Element der richterlichen bzw. gesetzgeberischen Würdigung darstellten.

Auch von Randow verneinte einen gesetzlichen Handlungsbedarf infolge von NORAH. Dennoch habe diese Studie eine große Bedeutung insofern, als es künftig darum gehen müsse, das Belästigungsempfinden der Bevölkerung zu reduzieren. Das wirksamste Mittel sei hier aus seiner Sicht der Lärmschutz an der Quelle, also z. B. neue Lärmminderungstechnologien bzw. neue, lärmärmere Flugzeuge. Hierfür benötigten die Luftverkehrsgesellschaften jedoch die erforderliche Investitionskraft, nicht dagegen noch mehr Regulierung, die Investitionskraft abzöge.

Fußnoten

(1): Siehe hierzu: Gronefeld, Lärmwirkungsforschung und Konfliktbewältigung in der luftrechtlichen Planfeststellung,
S. 67 - 84 in diesem Heft.