Dieser Artikel wurde im "Deutschen Ärzteblatt Jg. 113, Heft 24" erstveröffentlicht.

Stress durch Lärm

Die nicht auditorischen Lärmwirkungen können Stressreaktionen auslösen, die das autonome und endokrine System beeinflussen und unter anderem über Veränderungen im Fettstoffwechsel, Glukosestoffwechsel und in der Blutdruckregulation zu einem erhöhten Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen können (3). Zahllose experimentelle Studien an Mensch und Tier liefern die biologische Plausibilität für diesen Zusammenhang. Erfreulicherweise hat die Anzahl epidemiologischer Studien zu den gesundheitlichen Folgen des Lärms in den letzten Jahren zugenommen. Dies ist umso wichtiger, als diverse Formen des Bias die Ergebnisse epidemiologischer Beobachtungsstudien verzerren können und die Aufklärung ursächlicher Zusammenhänge erschweren. Kausalität wird in der Epidemiologie, insbesondere bei geringen Risikoerhöhungen, erst dann akzeptiert, wenn diverse Studien konsistent auf einen Effekt hinweisen. Die überwältigende Mehrheit der Lärmwirkungsforscher geht heute von einem kausalen Zusammenhang zwischen Umgebungslärm und erhöhtem Herz-Kreislauf-Risiko aus. Weniger Übereinstimmung besteht jedoch bezüglich der Wirkschwelle und der Stärke des Zusammenhangs. Umso wichtiger ist die von Seidler et al. in dieser Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts publizierte sekundärdatenbasierte Fallkontrollstudie zum Herzinfarktrisiko von Verkehrslärm im Frankfurter Raum (4). Die Studie zeichnet sich neben dem großen Stichprobenumfang durch qualitativ hochwertige Lärmberechnungen für die drei wichtigsten Verkehrsträger aus. Das Fehlen von relevanten Confoundern auf der Ebene des Individuums verleiht der Studie Merkmale einer ökologischen Studie und erhöht das Risiko für eine Verzerrung der Ergebnisse. Sie setzt damit einen Trend von vergleichbaren Studien fort (5, 6). Eine prospektive Studie, die primär den gesundheitlichen Folgen des Verkehrslärms gewidmet ist, steht noch aus.

Relevanz der Belastung

Die Ergebnisse von Seidler et al. (4) stimmen mit der dazu thematisch publizierten Literatur überein. Die Autoren finden für Straßen- und Schienenverkehrslärm einen signifikanten Anstieg des relativen Risikos um etwa 2–3 % pro 10 dB Anstieg im Dauerschallpegel. Im Vergleich zu anderen etablierten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (wie zum Beispiel Rauchen) sind diese Risikoerhöhungen gering. Wie die Autoren richtig bemerken, sind jedoch selbst die beobachteten geringen Risikoerhöhungen gesundheitspolitisch relevant, weil weite Teile der Bevölkerung mit Verkehrslärm belastet sind. Durch Straßenverkehr allein waren in der Europäischen Union im Jahr 2012 etwa 100 Millionen Menschen Dauerschallpegeln von mehr als 55 dB ausgesetzt (7). Für den Fluglärm fanden Seidler et al. keine signifikanten Risikoerhöhungen. Die Schätzer waren nur bei Beschränkung auf bestimmte Zeitscheiben oder hohe Pegelklassen und den tödlich verlaufenden Herzinfarkt signifikant erhöht. Die Gründe hierfür sind unklar. Neben der speziellen Belastungssituation in Frankfurt (mit vergleichsweise geringem Verkehrsaufkommen in der Nacht) kommen insbesondere akustische Eigenschaften des Fluglärms als Erklärungsansätze infrage wie spektrale Geräuschzusammensetzung, langsame Pegelanstiegs- und oder Pegelabklingzeiten (8).

Viele Emotionen im Spiel

Die politische Diskussion um die gesundheitlichen Folgen des Verkehrslärms ist von vielen Emotionen geprägt. Sie wird dominiert durch Verharmlosungen der Lärmverursacher und Überspitzungen von Betroffenengruppen. Die Lärmwirkungsforschung versucht, zu einer Versachlichung der Diskussion beizutragen und entscheidende Grundlagen für politische Entscheidungsprozesse zu liefern. Sie kann den gesellschaftspolitischen Diskurs jedoch nicht ersetzen (9). Verkehr und Mobilität gehen mit einer Reihe von positiven Effekten sowohl für die Wirtschaft als auch für das Individuum einher. Die Gesellschaft scheint Jahr für Jahr eine erhebliche Anzahl fataler Verkehrsunfälle in Kauf zu nehmen (im Jahr 2015 etwa 3 500 Verkehrstote). Es stellt sich die Frage, ob diese Bereitschaft auch für lärmbedingte Gesundheitsfolgen der Mobilität gilt.

Schutz vor den Folgen des Lärms

Auch wenn Gesundheitsrisiken nie gänzlich ausgeschlossen werden können, gilt es dennoch, sie zu minimieren. Gesetzliche Regelwerke und deren Durchsetzung sind hier eine Grundvoraussetzung. Diese sollten in Zukunft stärker berücksichtigen, dass die Lärmempfindlichkeit in der Bevölkerung inter-individuell stark variiert (10). Gesetzliche Regelwerke haben besondere Relevanz vor dem Hintergrund, dass durch Lärm Betroffene häufig sozial weniger gut gestellt sind und entsprechend weniger Optionen haben, ihre Lärmumgebung zu verändern (11). Lärmreduzierung an der Quelle stellt grundsätzlich die sinnvollste Maßnahme dar, stößt nach Jahrzenten großer Erfolge aber an technische Grenzen. Große Sprünge in der Reduzierung von Lärmemissionen sind ohne komplett überarbeitete Fahrzeugdesigns beziehungsweise Infrastruktur in naher Zukunft nicht zu erwarten. Umso wichtiger erscheinen aktive, operationelle Lärmschutzmaßnahmen (wie der konstante Sinkflug in der Luftfahrt), die passiven Lärmschutzmaßnahmen (wie Lärmschutzfenster) vorzuziehen sind und sofort greifen können. Auch räumliche (zum Beispiel Fußgängerzonen) und zeitliche (wie Nachtflugverbote) Einschränkungen von Verkehr können helfen, Lärmwirkungen zu reduzieren. Lärmschutz beginnt jedoch beim Individuum. Hier gilt es, die Bevölkerung gezielt über die negativen gesundheitlichen Wirkungen des Lärms zu informieren, damit der Einzelne weniger Lärm erzeugt und existierenden Lärm meidet. Einserseits sollten die gesundheitlichen Folgen nicht verharmlost werden. Andererseits sollte auch vermieden werden, durch übertriebene Darstellungen Ängste in der Bevölkerung zu schüren, weil Angst letztlich auch eine Form von Stress darstellt. Studien wie die von Seidler et al. sind entscheidend für das bessere Verständnis von Lärmwirkungen, und für gezielte Maßnahmen zu deren Minimierung.

Fußnoten

(1) Basner M, Babisch W, Davis A, et al.: Auditory and non-auditory effects of noise on health. Lancet 2014; 383: 1325–32.
(2) World Health Organization (Regional Office for Europe): Burden of disease from environmental noise. World Health Organization (WHO); 2011. www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0008/136466/e94888.pdf (last accessed on 17 May 2016).
(3) Munzel T, Gori T, Babisch W, Basner M: Cardiovascular effects of environmental noise exposure. Eur Heart J 2014; 35: 829–36.
(4) Seidler A, Wagner M, Schuber Mt, Dröge P, Pons-Kühnemann J, Swart E, Zeeb H, Hegewald J: Myocardial infarction risk due to aircraft, road and rail traffic noise—results of a case–control study based on secondary data. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 407–14.
(5) Hansell AL, Blangiardo M, Fortunato L, et al: Aircraft noise and cardiovascular disease near Heathrow airport in London: small area study. BMJ 2013; 347: f5432.
(6) Correia AW, Peters JL, Levy JI, Melly S, Dominici F: Residential exposure to aircraft noise and hospital admissions for cardiovascular diseases: multi-airport retrospective study. BMJ 2013; 347: f5561.
(7) European Enviroment Agency: Exposure to and annoyance by traffic noise. www.eea.europa.eu/data-and-maps/indicators/exposure-toand-annoyance-by-1/assessment (last accessed on 17 May 2016).
(8) Basner M, Müller U, Elmenhorst EM: Single and combined effects of air, road, and rail traffic noise on sleep and recuperation. Sleep 2011; 34: 11–23.
(9) Humphreys K, Piot P: Scientific evidence alone is not sufficient basis for health policy. BMJ 2012; 344: e1316.
(10) McGuire S, Muller U, Elmenhorst EM, Basner M: Inter-individual differences in the effects of aircraft noise on sleep fragmentation. Sleep 2016; 39: 1107–10.
(11) Huss A, Spoerri A, Egger M, Roosli M: Aircraft noise, air pollution, and mortality from myocardial infarction. Epidemiology 2010; 21: 829–36.