Nachtflugverbot und Betriebsbeschränkungen
Planungssicherheit für alle Beteiligten
Der Wirtschaftsstandort Deutschland benötigt bedarfsgerechte Betriebszeiten an deutschen Flughäfen, auch in der Nacht. Dem gegenüber steht die Forderung der Anwohner nach einer geschützten Nachtruhe. Betriebsbeschränkungen sollen nach dem Balanced Approach der ICAO nur zum Zuge kommen, wenn alle anderen Optionen zur Reduzierung der Lärmbelastung ausgeschöpft wurden. Denn Nachtflugverbote verzerren den internationalen Wettbewerb und schwächen die Anbindung Deutschlands an die Weltwirtschaft.
Die Zivilluftfahrtorganisation der Vereinten Nationen (ICAO) hat mit dem sogenannten Ausgewogenen Ansatz –im Englischen Balanced Approach – eine internationale Strategie entwickelt, um die Lärmbelastung im Umfeld von Großflughäfen zu reduzieren, ohne dass es zu empfindlichen Einschränkungen der Verkehrsfunktion kommt. Die UN-Strategie, die in Deutschland unter anderem mit dem Luftverkehrsgesetz umgesetzt wird, umfasst eine ganze Reihe von Maßnahmen, die an jedem Flughafen individuell geprüft werden müssen. In Einzelfällen sieht sie auch Beschränkungen von Betriebszeiten vor – allerdings nur als letzte Maßnahme, nachdem alle anderen Optionen zur Reduzierung der Lärmbelastung ausgeschöpft sind. Dies hat gute Gründe, denn Betriebsbeschränkungen wie zum Beispiel Nachtflugverbote wirken sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit von Flughäfen und Fluggesellschaften aus und koppeln die deutsche Wirtschaft von globalen Warenströmen ab.
Restriktive Betriebszeiten an deutschen Flughäfen #restriktive-betriebszeiten-an-deutschen-flughaefen
In Deutschland sind weitgehende Betriebsbeschränkungen inzwischen nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. An den meisten Flughäfen gibt es starke Einschränkungen bis hin zu absoluten Nachtflugverboten. So sind geplante Flüge in der Kernnacht von 0 Uhr bis 5 Uhr vielerorts verboten. An vielen Flughäfen wurden zudem nicht nur diese Nachtstunden für Flugzeuge gesperrt, sondern auch die angrenzenden Tagesrandstunden stark eingeschränkt.
Gerade diese Tagesrandzeiten – von 5 Uhr bis 6 Uhr am Morgen und von 22 Uhr bis 24 Uhr am Abend – sind für Fluggesellschaften besonders wichtig. Zum Beispiel am Flughafen Frankfurt: In den frühen Morgenstunden landen dort fast ausschließlich Langstreckenflugzeuge aus Amerika oder Asien. Die ankommenden Fernreisenden fliegen dann mit der ersten Startwelle an ihre Zielorte in Europa weiter. Umgekehrt am Abend: Mit der letzten Landewelle von Flugzeugen aus Europa erreichen die Reisenden noch zahlreiche Weiterflüge zu Zielen in Übersee.
Nachtflugbeschränkungen ausgewählter Flughäfen im Überblick #nachtflugverbote_im_ueberblick
In der folgenden Grafik sind alle Informationen zu den Betriebszeiten einer Auswahl an deutschen internationalen Verkehrsflughäfen sowie internationaler Flughäfen hinterlegt. Mit einem Klick auf einen Flughafen öffnet sich ein Fenster mit Angaben zu Betriebszeiten, Auflagen und Ausnahmeregeln.
Legende
Planmäßige Flugbewegungen mindestens in der Kernnacht (0 Uhr bis 5 Uhr) nicht zulässig |
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Passagierflüge in der Nacht nicht zulässig, Expressfracht zulässig |
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Planmäßige Flugbewegungen in der Nacht – gegebenenfalls mit Einschränkungen – zulässig Es kann zum Beispiel ein Verbot für besonders laute Flugzeuge beziehungsweise eine Begrenzung der Anzahl von Flugbewegungen geben. |
Von deutschen Flughäfen mit mehr als neun Millionen Passagieren im Jahr ist lediglich einer in der Nacht offen. Gerade Flughäfen, die als Drehkreuze im internationalen Passagier- und Frachtverkehr dienen, also die Flughäfen Frankfurt, München und Düsseldorf, sind in der Nacht weitreichend beschränkt. Auch bezogen auf die internationalen Verkehrsflughäfen in Deutschland, zeigt sich, dass nur ein kleiner Teil der Flughäfen nachts offen ist. Und selbst dort gelten Beschränkungen. So dürfen beispielsweise Flugzeuge älteren Jahrgangs an vielen Standorten nachts nicht starten oder landen, und am Flughafen Leipzig gilt die Nachtfluggenehmigung nur für Expressfracht.
Anders stellt sich die Situation für ausländische Flughäfen dar, die mit den deutschen Standorten um Umsteigepassagiere und Frachtverkehre konkurrieren. An den großen Drehkreuzflughäfen im Ausland gibt es solche strengen Auflagen in der Regel nicht. Erst recht gilt dies für die Flughäfen in der Türkei oder der Golfregion, die mit Deutschland im Interkontinentalverkehr im Wettbewerb stehen. Hieraus ergibt sich für die deutschen Unternehmen, die einen Großteil ihrer Flüge von Flughäfen in Deutschland aus abwickeln, ein massiver Wettbewerbsnachteil.
Und auch im Vergleich der Verkehrsmittel zeigt sich, dass die Betriebszeiten im deutschen Luftverkehr besonders restriktiv sind. Die Bahn kennt keine gesetzlich verordneten Öffnungszeiten und kann ihr Angebot am Bedarf ausrichten. Und auch die deutschen Autobahnen werden nachts aus Gründen des Lärmschutzes nicht geschlossen.
Keine Planungssicherheit für Bürger und Unternehmen #keine_planungssicherheit_fuer_buerger_und_unternehmen
Im Laufe der Jahre wurden die Betriebszeiten an deutschen Flughäfen immer stärker eingeschränkt. Dabei folgten die Verschärfungen nicht einem schlüssigen Luftverkehrskonzept für ganz Deutschland, sondern waren im Kern Ergebnisse von regionaler Politik und jahrelangen gerichtlichen und außergerichtlichen Auseinandersetzungen. Dieser Zustand lässt sowohl die Menschen im Flughafenumfeld als auch die Wirtschaft im Unklaren: die Familie, die sich zweimal überlegt, wo sie ihr neues Eigenheim bauen will; den Spediteur, der sich am Flughafen ansiedeln will, aber verunsichert ist, ob er dort auch noch in fünf Jahren um 23 Uhr Waren per Luftfracht verschicken kann.
Daher muss es Planungssicherheit bei den Betriebszeiten an Flughäfen geben: Der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht keinen Nachtflugbetrieb an jedem einzelnen Standort, weder für den Fracht- noch für den Passagierflug, aber er braucht international wettbewerbsfähige Betriebszeiten an Flughäfen – auch mit Nachtflugmöglichkeiten. Um Planungssicherheit für Unternehmen und Bürger sowie für wirtschaftliche Investitionen zu schaffen, sollten Bund und Länder gemeinsam definieren, an welchen Fracht- und Passagierflughäfen dauerhaft Nachflugmöglichkeiten erhalten bleiben sollen. Einen ersten Schritt dahin ging das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Jahr 2017 mit der Vorstellung eines Luftverkehrskonzepts. In diesem wird das Bundesinteresse unterstrichen, bedarfsgerechte Betriebszeiten sowie an Ausweichflughäfen einen 24-Stundenbetrieb zu gewährleisten. Zudem sollte laut BMVI für bestehende Betriebsregelungen an Flughäfen der Primärstruktur der Bestandsschutz gewährleistet werden.
Nachtflugverbot als Wettbewerbsnachteil #nachtflugverbot_als_wettbewerbsnachteil
Eng verbunden mit den Betriebszeiten an Flughäfen ist die Wettbewerbsposition der dort beheimateten Fluggesellschaften. Ungleiche Rahmenbedingungen wie einseitig streng gefasste Betriebszeiten verschlechtern die Chancen der deutschen Fluggesellschaften im internationalen Wettbewerb.
Flugzeuge kosten viel Geld. Damit sich die Investition lohnt, müssen die Maschinen so lange wie möglich in der Luft sein und Passagiere und Fracht transportieren. Darum versuchen die Fluggesellschaften, Standzeiten möglichst kurz zu halten. Die folgende Grafik verdeutlicht dies am Beispiel Hannover. Dort kann in der Nacht geflogen werden, was den Fluggesellschaften den optimalen Einsatz ihrer Maschinen ermöglicht.
Geld verdienen Flugzeuge nur in der Luft #geld_verdienen_flugzeuge_nur_in_der_luft
Fluggesellschaften versuchen Flugzeuge möglichst lange in der Luft zu halten
Quelle: Flughafen Hannover
Anders stellt sich die Situation an Flughäfen dar, an denen von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens nicht geflogen werden darf. Eine deutsche Fluggesellschaft, die zum Beispiel an einem solchen Flughafen ihre Basis hat und dort ihre Flugzeuge stationiert, kann lediglich zweimal pro Tag zu einem Ziel wie Malaga in Spanien fliegen. Das Verbot bis 6 Uhr morgens und ab 22 Uhr abends lässt nur zwei Umläufe zu. Ausländische Fluggesellschaften, die ihre Flugzeuge an einem nachtoffenen Flughafen im Ausland stationiert haben, können ihre Flugzeuge länger und damit wirtschaftlicher einsetzen. So schafft eine Maschine, die morgens um 4:30 Uhr zum ersten Mal von Malaga abhebt und um 0:30 Uhr wieder dort landet, pro Tag drei Umläufe nach Deutschland. Dieser sogenannte Homebase-Effekt führt also dazu, dass Fluggesellschaften, die ihre Maschinen an nachtoffenen Flughäfen im Ausland einsetzen, deutlich produktiver arbeiten können – sie genießen einen klaren Wettbewerbsvorteil zu Lasten von Fluggesellschaften, die an deutschen Flughäfen mit Nachtflugbeschränkungen stationiert sind.
Betriebszeiten als Faktor im internationalen Wettbewerb #betriebszeiten_als_faktor_im_internationalen_wettbewerb
Im Ausland stationierte Fluggesellschaften schaffen mehr Umläufe pro Tag
Nicht nur im touristischen Verkehr, auch im Frachtbereich greift das Wettbewerbsargument: Wenn die deutschen Flughäfen keine vergleichbaren Betriebszeiten aufweisen können wie ihre Konkurrenten, dann geht Frachtverkehr an Deutschland vorbei. Die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts leidet darunter sehr. Es kommt zum Beispiel zu einer Verlagerung von Verkehren ins Ausland, wenn Waren nicht mehr von Hamburg aus geflogen, sondern mit dem LKW zum Flughafen Amsterdam gefahren werden, um dann von dort in die Welt zu starten.
Wirtschaftsstandort braucht wettbewerbsfähige Betriebszeiten #standort_braucht_nachtfluege
Wichtiger noch als die Folgen, die sich aus der Wettbewerbsverzerrung für deutsche Flughäfen und Fluggesellschaften ergeben, sind die Folgen für den gesamten Wirtschaftsstandort: Deutschlands Flughäfen Nacht für Nacht sechs bis acht Stunden von den internationalen Warenströme abzukoppeln, würde den Exportchancen deutscher Unternehmen schaden und den reibungslosen Ablauf von Produktionsprozessen im Inland behindern. Denn die globale Wirtschaft kennt keine Pausen und erstreckt sich über alle Zeitzonen.
Was per Luftfracht transportiert wird, hat es eilig: ein ganz spezieller Computerchip oder eine verderbliche Blut- oder Gewebeprobe, die innerhalb von wenigen Stunden zur Untersuchung muss. Die Bandbreite der täglich per Luftfracht versandten Güter ist groß. Gerade im Außenhandel spielt Luftfracht eine zentrale Rolle: Die Produktpalette der deutschen Exporteure umfasst in großem Umfang hochwertige Spitzentechnologie, zum Beispiel aus den Bereichen Maschinenbau und Automobilbau. Wird ein Ersatzteil aus deutscher Produktion, etwa ein Einzelteil einer Kraftwerksturbine oder eines Röntgengerätes, aufgrund eines unvorhersehbaren Ausfalls dringend im Ausland benötigt, muss es so schnell wie möglich geliefert werden. Und auch zeitkritische Güter, die im Ausland produziert werden, müssen in Deutschland rechtzeitig per Luftfracht zugestellt werden können.
Gemessen am Warenwert werden über 10 Prozent aller deutschen Importe/Exporte mit dem Flugzeug transportiert. Diese Zahl berücksichtigt nur den ausgewiesenen Wert der per Luftfracht transportierten Waren. Der immaterielle Wert kann noch einmal deutlich darüber liegen: Ein Mikroschalter kostet nur wenige Euro. Wenn der Schalter jedoch nicht fristgerecht geliefert wird und dadurch eine ganze Produktionslinie in einer Fabrik ausfällt, kann der dadurch ausgelöste Verlust schnell im Millionenbereich liegen. Fehlende Ersatzteile für Geräte in Krankenhäusern können darüber hinaus schnell zu Konsequenzen für Leib und Leben führen.
Auch bei den internationalen Produktionsketten kommt es immer stärker auf fristgerechte Liefertermine an. Denn Unternehmen halten anders als früher nicht riesige Lagerkapazitäten vor, sondern setzen darauf, dass die Einzelteile genau dann geliefert werden, wenn sie benötigt werden. So standen 2010 die ersten Bänder in der Automobilindustrie still, nachdem der Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull den Flugverkehr in Europa zum Erliegen brachte.
Nachtflüge sind ein wichtiger Teil in globalen Logistikketten #nachtfluege_sind_ein_wichtiger_teil_in_globalen_logistikketten
Um die Nachfrage nach Just-in-Time-Lieferungen bedienen zu können, setzen Unternehmen auf nahtlose Logistikketten. Darin spielt die Luftfracht eine besondere Rolle. Im sogenannten Nachtsprung machen sich die Unternehmen die Zeitverschiebung zu Nutze. Dies verdeutlicht folgende Grafik am Beispiel von Expressfracht, die mit DHL von Hong Kong nach Madrid unterwegs ist und in der Nacht am Flughafen Leipzig umgeschlagen wird.
Um 15 Uhr geht das Paket vom Versender in Hong Kong in Richtung Flughafen. Gegen 16:15 Uhr Ortszeit wird es am Flughafen Hong Kong verladen. Um 18:20 Uhr startet die Maschine und landet – dank der sechsstündigen Zeitverschiebung – noch am gleichen Tag um 23:30 Uhr am Flughafen Leipzig. Dort werden alle Pakete im DHL-Hub neu sortiert. Der Weitertransport in Richtung Madrid startet um 3:15 Uhr. Drei Stunden später kommt die Fracht am Flughafen Madrid an und wird dann mit LKWs zum Adressaten gebracht. Gegen 9 Uhr morgens hält der Empfänger das Paket in der Hand. Solche komplexen, minutiös geplanten Logistikketten wären ohne nachtoffene Flughäfen nicht möglich.
Weltweite Logistikprozesse nutzen den Nachtsprung #weltweite_logistikprozesse_nutzen_den_nachtsprung
Expressversand von Hong Kong nach Madrid über Leipzig
Quelle: DHL
Passagiermaschinen befördern rund 50 Prozent der Luftfracht #passagiermaschinen_befoerdern_rund_50_prozent_der_luftfracht
In der Diskussion kommt immer wieder auch die Frage auf, ob nächtlicher Frachtverkehr nicht an weniger dicht besiedelte Standorte verlagert werden kann. Zum Beispiel vom Flughafen Frankfurt an den Flughafen Hahn, wo deutlich weniger Menschen wohnen. Dieser Vorschlag ist in der Praxis nicht umsetzbar. Denn während im oberen Beispiel DHL nur reine Frachtflugzeuge nutzt, verfolgt beispielsweise die in Frankfurt Main operierende Lufthansa Cargo ein anderes Geschäftsmodell. Lufthansa Cargo transportiert etwa die Hälfte der Fracht in reinen Frachtmaschinen, die andere Hälfte wird in den Unterdecks von Passagierflugzeugen befördert. Dies ermöglicht es, auch Ziele an das Luftfrachtnetz anzubinden, bei denen nur wenig Frachtvolumen anfällt.
Die folgende Grafik veranschaulicht das Zusammenspiel zwischen Fracht und Passage: Ein reines Frachtflugzeug bringt 40,2 Tonnen Luftfracht von Hong Kong nach Frankfurt. Dort werden die Güter in 2 Fracht- und 49 Passagiermaschinen umgeladen. So kann Lufthansa Cargo seinen Kunden eine hohe Anzahl an Frachtzielen zu optimalen Lieferzeiten anbieten. Diese effiziente Integration von Fracht und Passage ist nur an großen Drehkreuzflughäfen möglich.
Luftfracht benötigt Fracht- und Passagiermaschinen #luftfracht_benoetigt_fracht-und_passagiermaschinen
Integration von Fracht und Passage am Beispiel der Lufthansa Group
Die Einschränkungen der Betriebszeiten in Deutschland betreffen also nicht nur die Luftverkehrswirtschaft selbst, sondern die gesamte Volkswirtschaft. Ohne ein Minimum an Flughäfen mit international wettbewerbsfähigen Betriebszeiten droht Deutschland eine zeitweise Abkopplung von globalen Wirtschaftskreisläufen. Negative Auswirkungen auf heimische Unternehmen und Arbeitsplätze wären damit unvermeidlich.